Entwurf
Der Ehrenbeleidigungsklage
des Karl Kraus
ca: Dr. Egon
Schwelb.
Sub G.Z. Tk VI 8789/34 des
Kreis-Strafgerichtes in
Prag ist ein Pressprozess des Privatklägers gegen den
verantwortlichen Redakteur
der Tageszeitung „SOZIALDEMOKRAT“
Dr. Emil Strauss wegen des
Vergehens nach § 2 und 3 des
Gesetzesvom
28.VI.1933 Nr. 108 der Gesetzesammlung, resp. wegen der
Uebertretung nach § 4 der Pressgesetznovelle anhängig.
Der Angeklagte in diesem
Prozesse, Dr. Emil
Strauss, wird von
Dr. Egon
Schwelb verteidigt, der durch verschiedene Anträge – unter anderem durch den absurden Antrag, ca.
2000 Seiten aus den Werken des P.K. zum Beweise
angeblicher Widersprüche in die Staatssprache zu übersetzen und vor Gericht
vorzulesen, ein Antrag, von dessen Unausführbarkeit er vorher überzeugt sein
musste – die
Urteilsfällung in diesem Prozesse hinauszuschieben trachtet,
und der bei der am 27.XI.1935 abgehaltenen
Hauptverhandlung den weiteren
Antrag stellte, die Akten
mögen dem Obergerichte in Prag zur
Entscheidung darüber
vorgelegt werden, ob nicht aus Gründen
der Zweckmässigkeit ein
anderes Straf-Kreisgericht, insbesondere
das Kreis-Strafgericht in Leitmeritz, delegiert werden soll.
Während der Beratung des Gerichtes über diesen Antrag bemerkte
der Vertreter des Privatklägers,
Dr. Johann
Turnovsky, Advokat
in Prag, dass die von Dr. Egon Schwelb gestellten
Anträge ledig
lich
auf die Sabotierung des Verfahrens hinzielen. Das Gespräch
fand vor dem
Verhandlungssaal des Pressesenates des Kreis-Strafgerichtes in
Pankrac statt und wurde in deutscher Sprache ge
führt. Auf diese
Bemerkung des Vertreters des Privatklägers
erwiderte Herr Dr. Schwelb: „
Ich spreche
jetzt nicht vom Prozesse
und Sie müssen ja Herrn Kraus / d.i. dem
Privatkläger /, von dem,
was ich jetzt sage, keine Mitteilung machen. Ich finde, dass
das Verhalten des Herrn
Kraus
die grösste Lumperei der
Welt
geschichte ist. Diesen Prozess wird auch die Weltgeschichte
entscheiden.“
Der Anwalt des Privatklägers
entgegnete darauf,
er könne den Vorbehalt wegen
Unterlassung der Verständi
gung des Privatklägers nicht zur
Kenntnis nehmen. Hierauf
musste das Gespräch unterbrochen werden, weil die beiden
Anwälte nach abgeschlossener
Beratung wiederum in den Ver
handlungsaal gerufen wurden.
Nach Beendigung der
Verhandlung wieder
holte der hier angeklagte Dr. Egon Schwelb und zwar vor
dem
Verlassen des
Gerichtsgebäudes in Pankrac: „Wie gesagt,
den Prozess wird die
Weltgeschichte entscheiden und zwar
bereits noch bevor der
Prozess entschieden sein wird. “
Auf die Frage des Anwaltes des Privatklägers : „Was wollen
Sie damit sagen? Soll
dies etwa heissen, dass die Sozial
demokraten
ein Attentat auf Herrn Kraus vorhaben?
“
erwiderte der Angeklagte: „
Das nicht, das
ist er nicht
wert,
höchstens ein Paar Ohrfeigen. “
Beweis: Zeugenaussage des Dr. Johann Turnovsky, Advo
katen in Prag – II, Vodičkova 33.
Der Angeklagte hat also in dem
Gesprä
che mit
dem Anwalte des Privatklägers dessen Ehre ange
griffen und durch
die Behauptung, das Verhalten des Privatklägers sei die grösste Lumperei der Weltgeschichte
und dieser sei nicht wert,
dass ein Attentat auf ihn aus
geübt werde, verdiene vielmehr ein Paar Ohrfeigen, vor
einer dritten Person vom Privatkläger
Tatsachen behauptet, den Privk. geschmäht schon
offenbar Tatsachen imputierend,
welche ihn verächtlich
machen und in der allgemeinen Mei
nung herabsetzen
müssen. Er hat also die Uebertretung
gemäss § 1 und 2 des Gesetzes über den Ehrenschutz
begangen,
weswegen der
Antrag gestellt wird, das Gericht möge
den
Angeklagten im Sinne der
zitierten gesetzlichen Verordnungen
schuldig erkennen und
bestrafen. Ferner möge er zum Ersatze
der Kosten dieses
Strafverfahrens verurteilt werden.
Prag, am 10.XII.1935.
Karl Kraus.