Uebersetzung
Auf die Privatanklage vom
2.I.1936 überreiche ich folgende
Beweisanträge:
1./ Die inkriminierten
Aussprüche sind bei
nahe getreu reproduziert. Der übrige Inhalt der Privatklage
entspricht nicht der Wahrheit.
2./ Meine Anträge im Verfahren
Tk VI 8789/34
waren nicht auf die
Verschleppung des Prozesses und Sabot
age
ierung
des Verfahrens
gerichtet, sondern sie waren vielmehr sachlich
begründet und durch eine
Bestätigung des Gerichtsdolmetschers
darüber belegt, dass die
Uebersetzung des Beweismateriales in
die Staatsprache einen Aufwand
von 100.000 Kč erfordern würde. Ich
war durch die Behauptung
bezüglich der Verschleppung und Sabotie
rung, mit welcher laut den Klagsangaben Herr Dr. Turnovsky die
Unterredung eingeleitet hat, mit
Recht erbittert, noch mehr aber
durch die von Dr. Turnovsky im Namen des Privatklägers vorgebrach
te Behauptung, dass mein Klient
und Freund, Redakteur Dr. Strauss
/ von welchem ich behauptet
habe, dass seine Vermögensverhältnis
se einen Aufwand von Kč 100.000.–
nicht möglich machen / Miteigen
tümer eines Hauses in Prag–I und Mitinhaber einer Hefehandlung
ist. Diese Behauptung war und ist
unwahr und ich habe in ihr
die
Aeusserung einer unwürdigen Art erblickt, in welcher der Privatkläger seine literarischen Fehden erledigen will.
/ Dazu bemerke ich, dass ich wohl
in den Privatgesprächen
mit Dr.
Schwelb darauf hingewiesen habe, dass Dr. Strauss
nicht mittellos ist, sondern
dass ihm oder seinem Vater,
wie
mir bekannt ist, ein Haus in Prag–I und eine grosse
Hefefirma gehört, dass diese Bemerkung aber natürlich
nicht namens des Herrn Kraus, der davon nichts wissen
konnte, gemacht wurde /
3./ Herrn Dr. Turnovsky habe ich nicht ersucht,
er möge meine Worte dem Privatkläger verschweigen, ich habe mich
nicht der Wendung „die grösste Lumperei“
sondern der: „eine der
grössten Lumpereien“
bedient und habe nicht gesagt, dass
den Prozess Tk VI 8789/34 an
Stelle des Kmetengerichtes die
Weltgeschichte entscheiden wird, sondern habe die Vermutung
ausgesprochen, dass vielleicht
noch vor Beendigung des Ge
richtsverfahrens die
Weltgeschichte sprechen wird. Dass das
Wort „Lumperei“ gefallen ist,
gestehe ich zu; ich habe im
Affekt diesen Ausdruck für dem Verhalten und der Gesinnung
des Privatklägers adaequat angesehen.
Ich war langjähriger Leser der
Schriften
des Privatklägers. Ich wusste, wie er, der unbarmherzige Geg
ner des alten
österreichischen Regimes, der Generalität, der
Polizeiwillkür, der
Christlich-Sozialen und der Heimwehr,
die Sozialdemokratie deswegen
scharf angegriffen hat, weil
sie
nicht genügend kompromisslos gegen das Regime kämpft, in
welchem er / der Privatkläger / den Gegenpol allen Geistes und
aller Sittlichkeit erblickt hat.
Als dann jenes, dasselbe
Regime,
nicht anders als in Deutschland, die Verfassungunterstü
t
r
zte und die Gesetze gegen den Willen des Volkes aus
löschte und dann das Volk sich
dagegen aufgebäumt hat, gehorsam
u.a. auch
in
dem
Hasse und den Verwünschungen des K. Kraus und auch
dann die Schutzverbände mit der
Waffe in der Hand unterlegen
sind, da plötzlich hat der Privatkläger seine
Haltung geändert
und aus dem
Verkünder der reinen Freiheit ward der Anhänger
des alt-neuen Regimes, der
Verteidiger seiner Gewalttaten und
Hinrichtungen, der Lobredner der Männer, die die Macht an sich
gerissen haben, um alles zu
vernichten, was frei, menschlich
und demokratisch war. Diese
r
n
plötzlichen Umschwung in den An
schauungen des Privatklägers,
seine
dessen
unbeugsame Ethik war einst
der Stolz seiner Anhänger gewesen ist und seine plötzliche Sympathie
für
die Regierenden hatte ich
im Auge.
3./ Die Bemerkung über ein
Attentat auf den Privatkläger hat mich nicht
wenig aufgebracht. Es wurde doch durch
diese Frage meinen politischen
Freunden und indirekt auch
mir
imputiert, dass wir an einen Mordanschlag auf den Privatkläger
gedacht hätten. Bei der Widerlegung dieser Annah
me habe ich mich daran erinnert,
dass gerade der Privatkläger die körperliche
Züchtigung als erlaubten und angemessenen
Ausdruck der Verachtung eines
ethisch anstössigen literari
schen Verhaltens ansieht, was
durch seine Schriften und seine
literarischen Polemiken belegt werden kann. Die Frage selbst
hat bei mir die von mir dann
gegebene Antwort provoziert.
5./ Wie aus der Klage selbst
hervorgeht, habe ich
alle
inkriminierten Aussprüche nach einer bewegten Gerichts
verhandlung in angespannter
Gemütsverfassung und in der Ab
sicht getan, die vorangegangenen
von seinem Rechtsanwalte
verdolmetschten Vorwürfe und
Angriffe abzuwehren.
Ich hatte und habe hinreichend
Grund, über das Verhalten des
Privatklägers
verbittert zu sein. Er selbst
hat durch sein
vorangehendes
herausforderndes und ärgerniserregendes Ver
halten veranlasst, dass ich in
Aufregung geraten bin und in
dieser sind die eingeklagten Beleidigungen gefallen.
Ich bemerke, dass die mir zur
Last gelegten
Handlungen nicht
unter die Bestimmung des § 2 des GesetzesNr. 108/33 der
Gesetzesammlung subsummiert werden können.
Wenn mir auch konkrete Umstände
bekannt waren, aus welchen
ich
meine Ansicht über das Verhalten und die Gesinnung des
Privatklägers geschöpft habe, habe ich über ihn keine Tat
sachen angeführt, wie sie der § 2 im Sinne hat, ich sprach
nur allgemein über sein
Verhalten; auch die Worte „dies
/ scil. des Attentates / ist
er nicht wert, höchstens ein Paar
Ohrfeigen“ könnten nur
eine Beleidigung gemäss § 1 darstellen.
Deswegen beantrage
ich durch meinen durch die
beigelegte Vollmacht legitimierten
Verteidiger,
es möge von der Bestrafung im Sinne des § 9, Abs. 2des Gesetzes Nr. 108/33 der
Gesl.Slg. abgesehen werden.
Ich bereue meine Tat deshalb,
weil ich dem Kläger die Möglichkeit einer
Genugtuung vor dem Gerichte eines
demokratischen Staates geboten
habe und
dass
weil
diese nur für
eine
formelle Beleidigung erwirkte Genugtuung bei weniger
informierten Lesern als
Rehabilitierung des literarischen
Verhaltens des Privatklägers angesehen werden
könnte.
Prag, am 25. März 1935
Dr. Egon Schwelb.