Entwurf eines Schriftsatzes in der Angelegenheit
Kraus –
Aufruf.
Da nunmehr die Uebersetzung
des inkri
minierten Artikels des Erstangeklagten „Die Fackel schwelt“
dem Auftrage gemäss
vorgelegt ist, obliegt es dem Privatankläger zu dem von
den Angeklagten kurz vor der letzten Haupt
verhandlung eingebrachten
Schriftsatz Stellung zu nehmen.
Selbstverständlich kann es
nicht Zweck dieses Schriftsatzes
sein, sich mit der Meinung
der Angeklagten polemisch ausein
anderzusetzen. Für das
gemeingefährliche Walten der Journalistik
gibt es leider noch kein
Forum, das ihre Verantwortlichkeit fest
stellen und sie zur
Rechenschaft ziehen könnte. Schon die Meinung
von Journalisten, auch wenn
sie nicht beleidigende Formen an
nimmt, kann ja
gemeinschädlich sein. Die Angeklagten haben sich
aber dafür zu verantworten,
dass sie bei der Darstellung ihrer
Meinung Behauptungen
aufgestellt haben, die die Ehre des Privatklägers
angreifen; dafür müssen sie sich verantworten und dafür
müssen sie bestraft werden,
wenn sie nicht die Wahrheit solcher
Behauptungen beweisen.
Dieser Bestrafung können sie aber auch
dann nicht entgehen – sie
erbrächten denn den Beweis der Wahr
heit ihrer Behauptungen –,
wenn der inkriminierte Artikel
wirk
lich
„eine literarische
Kritik“ darstellte, denn sie haben eben
die zulässigen Grenzen einer
solchen literarischen Kritik über
schritten, wenn sie ihr
einen beleidigenden Inhalt gaben, für
die sie den Wahrheitsbeweis
nicht zu erbringen in der Lage sind.
Es kann wohl keinem Zweifel
unterliegen, dass die Behauptungen:
1.) die Arbeit des Privatklägers
zeige deutlich paranoische
Züge;
2.) der Privatkläger
unterlasse die Polemik gegen das Hitler-
regime (was er nicht tut)
nur deshalb, weil er an der Gefahr,
die sie für die in
Deutschland Lebenden mit sich bringe be
teiligt, durch sie also
mitgefährdet sei, behaupte jedoch, sie
zu unterlassen, um die
Gefährdung der Anderen zu vermeiden,
diese Behauptung sei aber
nur eine Ausrede, er sei also ein
Lump;
3.) der Privatkläger
lehne es in massloser Selbstüberschätzung
ab, das zu tun, was andere
tun, nämlich den von ihm selbst als
gerecht und notwendig
erkannten Kampf gegen Hitler zu führen,
weil er seine Anhänger durch
seinen originellen Standpunkt ver
blüffen wolle;
4.) der Privatkläger
wolle durch längeres Nichterscheinen
seiner Zeitschrift „Die Fackel“ bei seinen Lesern eine
erhöhte
Spannung und
Neugierde hervorrufen, wodurch dann der Absatz der
Zeitschrift erhöht werde;
5.) der Privatkläger
habe mit den rücksichtslosen Methoden des
Kapitalisten, nach
Bankierart, mutwillig mit der tschechoslova
kischen Exekutivgewalt
gedroht, um sein Recht durchzusetzen,
sich aber selbst strafbare
Handlungen zuschulden kommen lassen,
in dem sicheren Gefühl, es
könne ihm, da er inzwischen für
einen glühenden
Feyanhänger(!) gehalten werde, nichts geschehen;
6.) der Privatkläger
trete für die endgültige Beibehaltung
eines Zustandes ein, der
immer wieder nur Qualen, Wildheit,
Unterdrückung produzieren
könne, was keinem Ehrbaren gestattet
sei;
7.) der Privatkläger
tue dies, weil er persönlich eine gesicher
te Stellung zu verlieren
habe, er sei vom Glanz der siegreichen
Christenkanonen mürbe
gemacht worden; –
es kann wohl keinem Zweifel
unterliegen, dass diese Behauptungen
beleidigend sind und die
Straflosigkeit der Beschuldigten nur
dann eintreten könnte, wenn
sie die Wahrheit dieser Behauptun
gen bewiesen. Diesen Beweis
müssten sie selbst dann erbringen,
wenn es wahr wäre, wie der
Schriftsatz der Beschuldigten be
hauptet, dass der Privatkläger
in seiner Abhandlung vom Juli1934 „in höchst beleidigender Weise
demokratische und sozialisti
sche Schriftsteller
angreift, ohne eine Menge von Ausfällen zu
vermeiden“.
Diesen angegriffenen demokratischen und sozialisti
schen Schriftstellern steht
kein anderes Recht zu, als den
Privatkläger wegen seiner bewusst beleidigenden Behauptungen
zu verklagen und seine
Bestrafung durchzusetzen, wobei diesem
natürlich wieder das Recht
offen stehen müsste, die Wahrheit
seiner Behauptungen zu
beweisen. Gegen den Privatkläger wurde
aber in keinem einzigen Fall eine Privatklage von seiten der
demokratischen und
sozialistischen Schriftsteller erhoben, ge
schweige denn, dass eine
solche Anklage aus dem Grunde mit
einem Freispruch des Privatklägers
enden würde, weil der öster
reichische Richter aus
Parteilichkeit ein Gerichtsurteil zu
Gunsten des Privatklägers
fällen würde. Die Angriffe des Privatklägers gegen
demokratische und sozialistische Schriftsteller,
die übrigens seit vielen
Jahren, vielfach seit jeher vom Privatkläger erhoben
wurden und keine Enttäuschung oder gar Erregung
hervorrufen könnten, müssen
also füglich bei der Beurteilung des
vorliegenden Falles ausser
Betracht bleiben, und die Abhilfe,
die etwa von ihm Beleidigte
sich verschaffen könnten, kann nicht
in der Veröffentlichung von
Ehrenbeleidigungen mit unwahren Be
hauptungen liegen, sondern
lediglich in der eigenen Anklage.
Vielleicht könnte man noch
jene Art der Reaktion auf Beleidi
gungen gutheissen und als
Milderungsgrund betrachten, wenn be-
reits einmal der vergebliche
Versuch gemacht worden wäre, sich
gegen den Privatkläger
in Oesterreich Recht zu verschaffen.
Solange aber dieser Versuch
nicht unternommen worden ist, muss
die grundlose Verdächtigung
des österreichischen Richters als
ein Bestreben aufgefasst
werden, sich dem vom Privatkläger ge
führten Wahrheitsbeweis zu
entziehen und vor der Oeffentlich
keit von den eigenen
Handlungen abzulenken. All dies behielte
seine Geltung auch dann,
wenn der Erstangeklagte persönlich
in der von ihm angegebenen
Weise angegriffen worden wäre. Dies
ist aber keineswegs der
Fall. Unter den demokratischen und
sozialistischen
Schriftstellern, denen die Angriffe des Privatklägers
im Juliheft 1934 der Fackel galten, wurde der Fall des
Erstangeklagten ganz besonders behandelt. Er hatte in der
Nummer vom 1.11.1933 in der Zeitschrift „Der Aufruf“ einen
recht naiven und etwas
wirren Artikel unter dem Titel „KarlKraus’
Abschied?“ geschrieben, in dem er die müssige Frage er
örterte, ob das Schweigen
des Privatklägers zu den Ereignissen
in Deutschland dadurch
bewirkt worden sei, dass „die Resignation
in ein Herz eingezogen
ist, das bisher nicht nur frei davon
war, sondern das alle
Gegengifte der Resignation verbreitet und
gezüchtet“ habe
oder ob es „ein Atemholen, ein
Zusammenkauern vor
dem
Ausschreiten“ sei. Er schloss seinen Gedankengang mit den
folgenden Worten: „Eine
schwärende, stinkende Krankheit liegt
auf Europa. Es gibt
einen Arzt, der im Besitze eines Instrumentes
ist um ihre
Gehirnmetastase erfolgreich zu behandeln. Wir rufen
ihn. Es gibt eine
geistige Kraft, die imstande ist die läppischen
Widersprüche
teutonischen Wesens zu polemischer Schärfe zuzu
spitzen, die Untaten
darzustellen und den Kern blosszulegen.
Wir brauchen diese
Kraft, Karl
Kraus, lassen Sie uns nicht im
Stich!“ Im
Gegensatz zu anderen demokratischen und sozialisti
schen Schriftstellern, die
sich publizistisch beleidigend ge
äussert haben, und
Personen, die sich in lästigen Briefen an
den Verlag der Fackel gewendet haben, mit der Aufforderung,
dass
ein Heft erscheinen
möge oder mit dem Vorwurf, dass der Privatkläger
Rücksicht zu nehmen habe, konnte damals dem Erstangeklagten noch
zugebilligt werden und wurde ihm tatsächlich zugebilligt,
dass er nur geistig der
Situation nicht gewachsen sei, die un
heilvolle Wirkung der
Entgegenstellung des Wortes gegen die Ge
walt nicht durchdenken
könne, nicht erfasste, dass man durch
die Behandlung ihres Falles
die Opfer der Willkür nicht rette,
sondern den Umkreis des
Verderbens erweitere, dass also der Ver
gleich mit einem Arzt, der
eine schwärende und stinkende Krank
heit erfolgreich behandeln
könne, zwar journalistisch ausgeführt
werden, aber vor der
Wirklichkeit nicht standhalten könne. Die
se überaus glimpfliche
Behandlung einer publizistischen Regung
vergilt nun der Erstangeklagte damit, dass er sich in die
Reihe
derjenigen drängt,
die den Privatkläger beleidigten und deswegen
zur Verantwortung gezogen
werden mussten. Da aber die ihm wider
fahrene, fast mitleidige
Behandlung seine beleidigenden Ausfälle
gegen den Privatkläger
keinesfalls rechtfertigen, ja nicht ein
mal die Erregung begründet
erscheinen lassen, auf die sich der
Erstangeklagte gleichfalls ausredet und die später
besprochen
werden soll,
so usurpiert er – vielleicht gerade aus gekränktem
Ehrgeiz – die Rolle der
schwergetroffenen „demokratischen und
sozialistischen
Schriftsteller“, gegen die sich die Angriffe des
Privatklägers
im Juli-Heft der Fackel tatsächlich richteten. Er
zitiert im Schriftsatz eine grosse Anzahl von Worten aus diesen
Angriffen, verschweigt aber
geflissentlich, dass sich diese An-
griffe überhaupt nicht mit
seiner Person beschäftigen, sondern
mit anderen Personen
respektive mit einem aus vielen Personen
konstruierten Typus, während
gerade seine eigene Person selbstän
dig und erkennbar in der
nachsichtigsten Weise behandelt wurde.
Denn alle diese vom Erstangeklagten zitierten Angriffe, auf die
auch noch in manchen
Einzelheiten zurückgekommen werden muss,
richteten sich gegen den
oben geschilderten Typus und dies wurde
auch ausdrücklich bemerkt.
Auf Seite 39 des Juli-Heftes derFackel war einem
fingierten lästigen Anfrager geantwortet:
„ Ausserdem verraten wir
Ihnen, dass Sie gar nicht vorhanden
sind, sondern dass wir
Sie uns als Extrakt aus solchen, die
gleichfalls nicht
vorhanden sind, hergestellt haben, aus den
bescheidenen Fragern,
kühneren Anzapfern, hauptsächlich aber
den Enttäuschten, die
sich durch langjährigen falschen Gebrauch
einer Lektüre der Fackel
berechtigt glauben, den, der nicht
Stellung nehmen will, zu
stellen.“ Aus der selbständigen Be
handlung des Erstangeklagten gegenüber der allgemeinen
Behandlung
des Typus, der
jene zitierten Stellen entnommen sind, ergibt
sich die vollkommene
Unrichtigkeit der Behauptung, der Erstangeklagte
sei durch die von ihm zitierten Stellen betroffen. Ueber
dies sind diese Stellen, so
wie sie zitiert werden, vollständ
lich unverständlich und,
wenn das Gericht nicht das Juli-Heftder
Fackel als Ganzes zu Gesicht bekommt, (zu dessen Vorlage
wohl nicht der Privatkläger
verpflichtet ist, sondern die An
geklagten, die sich auf
dieses Heft berufen), so kann es damit
gar nichts anfangen und
insbesondere nicht ermessen, wie ab
grundtief der schmähliche
Versuch der Angeklagten ist, das
Gericht von ihrer eigenen beleidigenden Tat abzulenken,
und an
Stelle des
Wahrheitsbeweises, zu dem sie verpflichtet wären, den
Beweis anzutreten, der Privatkläger
habe „demokratische und
sozialistische
Schriftsteller“ angegriffen, und sie seien
deshalb in einen
Erregungszustand geraten. Der Privatkläger
hat in einer 36jährigen
Tätigkeit zu wiederholten Malen den
Beweis erbracht, dass er zu
seinem Worte steht und bereit ist,
die Verantwortung für alles
zu übernehmen, was er geschrieben
hat. Diese Haltung ist
zahllose Male eben von den demokrati
schen und sozialistischen
Schriftstellern der Tschechoslovakei
in der rühmendsten Weise
gewürdigt worden, vom Präsidenten derRepublik angefangen
bis zu den bekanntesten und unbekanntesten
Autoren und Kritikern. Wer
von den demokratischen und sozialisti
schen Schriftstellern durch
seine Einbeziehung in den Typus
sich erkennbar beleidigt
glaubt, hat das Recht, zu verlangen,
dass der ihm gemachte
Vorwurf, die ihm angetane Beleidigung
vom Privatkläger
verantwortet, dass der Beweis der Wahrheit für
die angetane Beleidigung
erbracht werde. Der Privatkläger bekennt
sich vollständig zu der aggressiven Haltung gegen demokratische
und sozialistische
Schriftsteller, soweit sie vermöge ihrer
politischen
Einsichtslosigkeit in den von ihm aufgestellten
Typus einbeziehbar sind, und
er glaubt noch grössere Nachsicht
mit ihnen geübt zu haben,
wenn er nur ihre geistige und intel
lektuelle Kapazität
anzweifelte, bei einer publizistischen
Haltung, die in ihrer Folge
Menschenleben gekostet hat. Der
Privatkläger
möchte am liebsten zu jeder der von den Angeklagten
zitierten Stellen die ganze
umgebende Betrachtung zur Kenntnis
des Gerichtes bringen, weil dadurch auch der politische
Gegen
satz zu
dem allgemein Menschlichen, in welchen sich die ange
griffenen demokratischen und
sozialistischen Schriftsteller aus
parteipolitischen Gründen
gestellt haben, klar und offenbar
würde. Die Zitierung aller
dieser Stellen mit ihrer Umgebung
würde aber einen Umfang von
mehr als vierzig Seiten ausmachen,
welche Arbeit, noch dazu in
Uebersetzung, dem Anwalt des Privatklägers
wohl nicht zugemutet werden kann. Einige dieser Stellen
müssen aber doch
herausgegriffen werden, weil sie zeigen, dass
die Angeklagten den Sinn
dieser Angriffe entweder nicht ver
standen haben oder nicht
verstehen wollten, oder dass sie in
Kenntnis des Umstandes, dass
sich diese Stellen unmöglich auf
sie beziehen konnten, sie
doch zu ihrer Verantwortung heranzogen
und, um den Schein solcher
Möglichkeit zu wahren, sie falsch
zitierten. So zitieren die
Angeklagten z.B. eine angebliche
Stelle von der Seite 24 des
Juli-Heftes der Fackel: „Der
Plunder der Freiheit.“ Diese Stelle lautet aber:
„ Denn ihr
Herausgeber hat, da ihm die Weltgeschichte zu dumm wurde …
es einfach uns
überlassen, mit den gesinnungsgemässen Ansprüchen
einer Zeit fertig zu
werden, die sich noch immer nicht als
Frist erkennen will; mit
dem Plunder einer Freiheit, durch deren
Gunst das Leben so
wohlfeil wurde wie das Denken.“ Es ist aus
der Gegenüberstellung
ersichtlich, dass nicht, wie die Ange
klagten darstellen, die Freiheit ein Plunder genannt wurde,
sondern solche Freiheit, wie
sie die angegriffenen Schrift
steller meinen, eine
Freiheit, die das ganze Chaos der Gegen
wart verursacht hat und
durch die Menschenleben und Kulturwerte
vernichtet oder aufs Spiel
gesetzt wurden. Die Angeklagten zi
tieren von der Seite 49 des
Juli-Heftes der Fackel die Worte:
„Prager Schmock.“ Da die Angeklagten in Prag ihren Wohnsitz
und Betätigungsort haben, muss beim Gericht der Anschein er
weckt werden, dass sich
diese Beschimpfung auf den Erstangeklagten bezieht.
Vollständig heisst das Zitat aber: „ Der als
‚Arnold‘ kämpfende Prager Schmock“, der Erstangeklagte konnte
es unmöglich auf sich
beziehen, da ‚Arnold‘ das Pseudonym eines
anderen Autors ist, gegen
den in jenem Heft polemisiert wurde;
er möchte es offenbar gerne
dazu benützen, sich einen Ent
schuldigungsgrund zu
schaffen, weshalb er sich gar nicht scheut,
es einfach zu verfälschen.
Auch andere, von den Angeklagten
zitierten Stellen sind
verfälscht oder entstellt wiedergegeben
worden. Da aber alle
Stellen, aus dem Zusammenhang gerissen,
unverständlich sind und,
wenn man einmal auf die einzelnen
Stellen einginge, zu jeder
eine Erklärung zu geben wäre, die
das Ausmass der Stellen samt
ihrer Umgebung in der Fackel um ein
Vielfaches übersteigen
müsste; da überdies nachgewiesen wurde,
dass diese Stellen für den
vorliegenden Prozess vollständig ohne
Bedeutung sind, muss die
Erörterung über diesen Punkt abge
schlossen werden. Es muss
den Angeklagten der Nachweis überlas
sen bleiben, dass sie durch
diese Stellen getroffen werden
sollten, wo doch gerade der Fall des Erstangeklagten gesondert
auf den Seiten 65–67 des Juli-Heftes der Fackel behandelt wurde,
von welcher Behandlung die
Verteidigung wohlweislich überhaupt
nichts erwähnt, weil es ihr
nicht gelingen könnte, darin eine
Beleidigung des Erstangeklagten aufzuzeigen. Der Privatkläger
glaubt erwarten zu dürfen,
dass die demokratischen und soziali
stischen Schriftstellern
geltenden Angriffe, selbst wenn unter
ihnen „ein amtierender tschechischer Minister ist“ bei der Be
urteilung, ob die
Angeklagten eine strafbare Handlung gegen den
Privatkläger
begangen haben, von einem Gericht vollständig
ausser Betracht gelassen
werden, das es den angegriffenen Schrift
stellern überlassen muss,
sich ihr Recht zu suchen, was sie
bisher in keinem einzigen
Fall getan haben. Die Verteidigungder Angeklagten
meint, eine gründliche und richtige Beurteilung
des inkriminierten Artikels sei nur dann möglich,
wenn das
Gericht den Inhalt und die Art jenes Artikels kenne, der
den
Impuls zu den
literarischen Angriffen auf Karl Kraus gegeben
habe, unter anderem auch zum
Angriff des Erstangeklagten.
Damit hat sie natürlich,
wenn auch im umgekehrten Sinne, recht.
Da sie aber selbst einsieht,
dass ein solches Begehren un
möglich wäre (und sie
jedenfalls nicht die Kosten in dem für
sie aussichtslosen Prozess
aufwenden möchte), eine Uebersetzung
dieses umfangreichen Werkes herzustellen, möchte sie gerne,
dass dem Privatkläger
der Auftrag erteilt werde, sich diese
Kosten zu machen und die
Beweise, die die Beklagten zu führen
hätten, ihnen zur Verfügung
zu stellen. Wenn die Angeklagten
aus diesem Heft
selbst die Wahrheit ihrer Behauptungen zu er
weisen sich erbötig machten,
was bisher aber nicht der Fall
gewesen ist, müssten sie selbst die Uebersetzung veranlassen,
bezahlen und dem Gericht
vorlegen. Dem Privatkläger würde es
genügen, wenn die
Angeklagten nur die Stellen seines Heftes so
ausführlich übersetzt
vorlegten, die erforderlich sind, ihre
eigenen Behauptungen in dem
Schriftsatz zu überprüfen. Sie
behaupten, dass die Mehrzahl
der inkriminierten Stellen (in
der Klage sub 2, 3 und 4) nur Zitate der Aussprache des Privatklägers
sind. Es wäre sehr wünschenswert, wenn die Angeklagten
wenigstens die drei Stellen
des Heftes bezeichneten, die der
Erstangeklagte angeblich zitierte. In Wirklichkeit liegt
der
Fall nämlich gerade
umgekehrt. Der Erstangeklagte zitiert in
seinem Artikel keine Stellen der Fackel, deren Reproduktion
der Privatkläger
absurder Weise dann unter Anklage stellen
würde, sondern er schliesst
eben an ein Zitat aus der Fackel
beleidigende Behauptungen
an, für die er den Wahrheitsbeweis
zu erbringen hat. Wenn an
das Zitat der Fackel „ man kann ein
Lump sein, wenn man
jemanden in Gefahr bringt“ angeschlossen
wird, „man könne ein Lump sein, wenn man jemanden vor einer
kleineren Gefahr bewahrt
und in einer grösseren drinnen lässt,
weil man an der
kleineren mitbeteiligt wäre und gleichzeitig
behauptet, man täte es
nur seinetwegen“, so ist bei dem deut
lichen Hinweis, dass der Privatkläger
so etwa tue, doch nur
dies
Gegenstand des Prozesses und nicht etwa der Umstand, dass
die Behauptung an ein Zitat
der Fackel sich anschliesst. Das
gleiche gilt für die Stellen
3 und 4 der Privatklage.
Es kann also keinem Zweifel
unterliegen, dass alles
das
von den Angeklagten Vorgebrachte mit dem Prozess nicht das
geringste zu tun hat, und
alle vorgebrachten Argumente hinfällig
sind. Wenn sich die
Angeklagten auf die Bestimmung des § 9Absatz 1 des Gesetzes
über den Ehrenschutz berufen, so wäre zu
überprüfen, ob diese
Bestimmung auf den vorliegenden Fall Anwen
dung zu finden hat. Der Privatkläger
glaubt dies mit gutem
Grunde
vermeinen zu können. Jene Bestimmung, die den Angeklag
ten zwar nicht den
Freispruch, wohl aber die Straflosigkeit
sichert, setzt voraus, dass
die beleidigende Handlung durch
unmittelbar vorangegangenes, herausforderndes und ärgerniserre
gendes Benehmen
des Privatklägers veranlasst worden ist. Dieser
Paragraph hat seinen
Vorgänger offenbar in dem des deutschen
Strafgesetzes, der eine
ähnliche Rechtswohltat bei der Erwiderung
einer „Beleidigung auf der
Stelle“ vorsieht. Es ist klar, dass
auch für die Anwendbarkeit
des tschechischen Paragraphen er
forderlich ist, dass
Beleidigung und Gegenbeleidigung unmittel
bar in einem Zusammenhang
stehen, sozusagen in einem Akte er
ledigt werden. Bei einer
Beleidigung durch die Presse kann
dies logischerweise
überhaupt nie der Fall sein, da zur Be
gehung der Gegenbeleidigung
eine Anzahl von Schritten notwendig
ist, nämlich die Verfassung
der Gegenbeleidigung, deren Redaktion,
die Drucklegung und die
Ueberprüfung durch den verantwortlichen
Redakteur. Schon der Begriff
eines „verantwortlichen Redakteurs“
schliesst dieses Moment
einer privaten Erregung aus, das etwa
in Betracht käme, wenn man
einem, der seine Begleiterin beleidigt
hat, eine Ohrfeige versetzt.
Von einer unmittelbaren Folge kann
also schon aus diesem Grunde
nicht die Rede sein. Aber selbst
dann, wenn man die
Anwendbarkeit des Paragraphen für Pressdelikte
nicht an und für sich
ausschliesst, so wäre sie doch nur für
eine Tageszeitung gegeben,
die innerhalb weniger Stunden auf
ein vorhergehendes Benehmen
des Beleidigten reagiert, und der
man dann zubilligen könnte,
dass die geforderte Unmittelbarkeit
der Antwort noch vorliegt.
Keinesfalls kann aber dieser Para
graph für eine Zeitschrift
angewendet werden, die vierzehntägig
erscheint, und für einen
Fall, wo zwischen dem angeblich ärger
niserregenden Benehmen, das
den Anlass zu der Beleidigung ge
geben hat und der
Beleidigung selbst, ein Zeitraum von fünf
Wochen liegt und das
Erscheinen des beleidigenden Artikels vorher
durch Wochen in fast
täglichen Reklamenotizen im Prager Tagblatt
angekündigt wurde.
In
einem solchen Fall kann sich der Beleidiger wohl nicht damit
ausreden, dass er in einer
Erregung gehandelt hat und unmittel
bar auf ein Benehmen des
Beleidigten reagiert habe, da er doch
in der Zwischenzeit erheben
konnte und musste, ob die von ihm
vorgebrachten beleidigenden
Behauptungen der Wahrheit entsprechen.
Das Beispiellose des Falles
lässt sich folgendermassen zusammen
fassen. Die von den
Angeklagten zitierten Stellen enthalten
offenbar Beleidigungen, für
die der Privatkläger unter seinem
vollen Namen jede Gefahr
eingegangen ist und die volle Verant-
wortung übernommen hat.
Darauf meldet sich ein Anonymus, der
unter dem angemassten
parvenuhaften französischen Pseudonym
„Lucien
Verneau“ die grössten Beleidigungen gegen den Autor
begeht, der ihn selbst mit
keiner jener zitierten Schmähungen
getroffen hatte. Er wird
sogar beleidigend, weil man ihm seine
Anonymität zum Vorwurf
gemacht hat und verteidigt in der unver
frorensten Weise das Recht
auf Anonymität, nachdem er dem
Privatkläger einen Vorwurf daraus gemacht hatte, dass er es un
terlasse, der
grossen Gefahr entgegenzutreten. Hinter seine
Anonymität hat sich der Erstangeklagte auch dann noch verschanzt,
als gegen ihn gerichtlich
vorgegangen werden sollte, und es hat
besondere Mühe gekostet,
seinen bürgerlichen Namen und seinen
von einem revolutionären
weit entfernten Beruf auszuforschen.
Er, der mit den Phrasen des
Kampfmutes vom Privatkläger einen
„
Aufruf um die Welt“ verlangte, eine Gegenüberstellung des
Wortes gegen die Gewalt,
hatte nicht einmal den Mut, für
seine Beleidigungen
einzustehen, wo er doch gewiss kein Martyrium,
sondern nur eine mehr oder
minder grosse Geldstrafe riskiert.
Eine Groteske ist es nun,
dass er sich zur Verteidigung des
Rechtes auf Anonymität auf
eine Zuschrift des armen TheodorLessing an den Herausgeber des „Aufruf“ beruft, anstatt sie
zu
verheimlichen. Man
erwartet, dass Lessing dieses Recht vertreten
hat, verblüffenderweise
stellt sich aber heraus, dass Lessing
in jener Zuschrift die
Schimpflichkeit der Anonymität behandelt,
wobei er offenbar die
Artikel des unauffindbaren Lucien Verneau
gemeint hat. Die Verblüffung
des Lesers steigert sich nun, wenn
man die Konklusion des Herrn
Lucien
Verneau vernimmt, Lessing
sei eben leider das Opfer
seiner heroischen Auffassung geworden,
indem er durch eine
Mörderkugel „an
den Folgen seines Irrtums,
dass man mit der
Kraft der Wahrheit und mit blossen Händen
der Karabinermündung
gegenübertreten könne“, starb. Lessing
hat also keine andere
Auffassung vertreten als wie der
Privatkläger
und der Angeklagte verteidigt sich gegen
diese
moralische
Forderung mit dem Argument des Klägers, dass man
mit dem Wort der Gewalt
nicht entgegentreten könnte. Ein
ähnlicher Rekord geistiger
Verwirrung dürfte im Schrifttum
nicht aufzuweisen sein, und
dieser Mann hält sich für berufen,
dem Privatkläger
paranoische Züge nachzusagen. Zur Rechen
schaft gezogen, beruft der
Angeklagte
sich auf eine Erregung,
die
sich seiner wegen jener fünfzig von ihm zitierten Angriffe
bemächtigt habe, und hat die
Stirne, der Justiz gegenüber nicht
nur so zu tun, als ob sich
diese Angriffe auf ihn bezögen,
sondern mit keinem Wort auch
nur anzudeuten, dass diese An
griffe ihn gar nicht
betreffen, ihn gar nichts angehen, ja
auch nicht im entferntesten
mit seiner Person etwas zu tun
haben, die ausdrücklich in einem ganz besonderen Kapitel be
handelt ist, das keine
derartigen Angriffe enthält.
Zu ihrer Verteidigung
könnten also die Angeklagten
sich lediglich auf die Wahrheit der vorgebrachten Behauptun
gen berufen, was sie aber
bisher nicht getan haben. Sollten
die Angeklagten diesen
Wahrheitsbeweis nicht antreten, so
wären sie nach Ansicht des
Privatklägers ohne weiteres Ver
fahren zu verurteilen, da
die Berufung auf den § 9 des zitierten Gesetzes im
vorliegenden Fall auch dann nicht ge
geben wäre, wenn sich die
vorhergehenden Beleidigungen durch
den Privatkläger
gegen die Person des heutigen Erstangeklagten
gerichtet hätten. Wie aber
oben ausgeführt wurde, ist dies
keineswegs der Fall, die
Angeklagten berufen sich auf Stellen
der Fackel, die sich nicht mit dem Verfasser
des beleidigendenArtikels
befassen, wogegen er gerade die Stellen, die sich
mit ihm befassen, weil sie
offenbar und berechtigterweise
auch von ihm nicht als beleidigend angesehen werden konnten,
geflissentlich verschweigt.
Der Privatkläger
beantragt daher, sämtliche weitere
Anträge der Angeklagten
abzuweisen, ausser etwaige Wahrheits
beweisanträge, die bisher
nicht gestellt worden sind.