MärzDer TagDie letzten Tage der MenschheitDie chinesische MauerSimplicissimusDie Fackel


30. dubna 1936


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Dr. Libenský


Josefu Schramkovi a Hugonu Sonnenscheinovi


Karel Kraus
62
Jičín
bez vyznání
svobodný
spisovatel
Vídeň IV, Lothringerstrasse 6


bez pomřu


K věci: Die Fackel erscheint seit jeher in einer einzigen
Auflage. Die Hefte, die in der C.S.R. verkauft werden, unterscheiden
sich von den in Oesterreich zum Verkauf kommenden einzig und allein
dadurch, dass auf den Umschlägen der in die C.S.R. versendeten
Hefte der Preis in ČK, in Oesterreich jedoch in ÖS angezeigt wird,
ebenso wie z.B. die Hefte die in die Schweiz gehen, einen Preisauf
druck in schw.Fr. haben.


Ich gebe die Zeitschrift Fackel seit 37 Jahren heraus, einige
Arbeiten sind ausschliesslich in dieser Zeitschrift erschienen, nur
Vorabdrucke sind u.zw. bloss in den Jahren 1908, 1909 im
Simplizissimus in München erschienen, auch, wie ich glaube zweimal
in der zum Simplizissimus gehörenden Zeitschrift „der März“.


Die Behauptung, dass ich eine ungeschminkte Verehrung des
Militarismus, des österr. Adels und der Aristokratie geäussert
hätte, ist eine freie Erfindung. Jeder der mein schriftstellerisches
Werk auch nur oberflächlich kennt, muss das Gegenteil wissen und
bezeugen können. Wegen der Notiz über Pola und des Artikels in der
Nummer 400–403 der Fackel verweise ich auf die Ausführungen des
von meinem Anwalt am 25. April 1936 überreichten Schriftsatzes und
erhebe die dort gemachten Angaben zu meiner Zeugenaussage. Es han
delte sich bei den gerade erwähnten Artikeln um Antithesen gegen
über eines von mir unausgesetzt bekämpften, weil als verderblich
und gefährlich erkannten Literaten- und Journalistentums. Meine Haltung
gegenüber diesem Journalisten- und Literatentum ist durch die 37 Jah
re vollkommen unverändert geblieben. Ebenso habe ich während dieser
37jährigen schriftstellerischen Tätigkeit die Politik als Beruf
verneint und bekämpft. Eine vollkommene Klarstellung meiner Haltung
in diesem Punkt ist in einem Aufsatz „Politik“, der 1908 erschie
nen ist / in meinem Buch „die chinesische Mauer“ / und auch in
einem damals veröffentlichten Fackelheft / enthalten. Es ist die
krasseste und phantastischeste aller Unwahrheiten, dass ich, der
ich den Krieg vom Anfang bis zum Ende in 104 Heften der Fackel ohne
Rücksicht und ohne Furcht vor jeder Zensur und Verfolgung bekriegt
habe, jemals auch nur eine Zeile, ja ein Wort zu Gunsten des
Krieges geschrieben oder gesprochen hätte. Es ist eine nicht min
der phantastische Unwahrheit, dass ich die deutsche Kriegsbejahung
jemals bejaht hätte, während es wahr ist, dass ich sie in sämtli
chen Zeilen von 104 Heften der Fackel, die sich mit dem Krieg be
fasst haben, bekämpft und verhöhnt habe und dass die Fackel dafür
auch wiederholt in der Vorzensur an zahllosen Stellen und ganzen Ar
tikeln konfisziert wurde. Zum anschaulichen Beweis dessen lege ich
eine der vielen Fackelnummern aus dem Krieg / Nr. 426–430 / vor.
Im Krieg wurde gegen mich ein Verfahren wegen Verbrechens gegen die
Kriegsgewalt eingeleitet, das längere Zeit, etwa 1 1/2 Jahre im
gang war und erst von der Regierung Lammasch eingestellt wurde.
Die Beschuldigung gegen mich gründete sich darauf, dass ich in einer
Vorlesung die Worte gesprochen hätte: „Meine Herren Offiziere,
die ich hier versammelt sehe, ziehen sie nicht in den Krieg, zerbre
chen sie die Säbel, zerreissen sie die Portepees, sie werden der
Menschheit den grössten Dienst erweisen.“ Bei meiner Einvernahme
über diese Anschuldigung habe ich angegeben, dass ich diese Worte
in meiner Vorlesung wohl nicht gebraucht hätte, dass jedoch die
Gesinnung dieser Worte durchaus der meinen entspricht, wie aus der
Fackel selbst deutlich hervorgehe.


Zu dem verstümmelten zweiten Zitat aus der Fackel Nr. vom 14. Juli1914 / richtig vom 10. Juli 1914 /, das in meinem Schriftsatz vom
25. April 1936 vollständig wiedergegeben ist, führe ich an, dass
es sich hier um eine satirisch übertriebene Absage an falsche
Fortschrittsgeister gehandelt hat, die stets unverändert meiner
Meinung entsprach und entspricht. Was dieses von den Angeklagten
als Argument gebrauchte unvollständige Zitat mit „Gleichschal
tung“ nach zwei Jahrzehnten oder gar Profitmacherei zu tun haben
soll, dürfte Niemandem erfindlich sein.


Der Einfall der Angeklagten, dass ich das Kriegsmanifest
Franz Josefs mit Begeisterung begrüsst hätte – in einem damals
Aufsehen erregenden Aufsatz und Vortrag, die sich eindeutig gegen
den Krieg kehrten – ermöglicht wegen seiner Absurdität, die sich
für jeden unbefangenen Leser aus dem Artikel selbst ergibt, über
haupt keine Abwehr. Im Detail verweise ich auf die wahrheitsgetreu
en Ausführungen des Schriftsatzes vom 25. April l.J. und die dem
Schriftsatz angeschlossenen Urkunden.


Gegen den Krieg habe ich damals ganz allein gekämpft, ihn
in jeder Form und in allen seinen Erscheinungen perhorresziert
und ihn ebenso verabscheut wie alles das, was sich gegen Geist
und Humanität wendet und sie schändet. Das absurde Missverständ
nis der Fackelnummer 404 aus dem Dezember 1914 wurde schon
seinerzeit von mir in zwei Artikeln in seinem kompletten Aber
witz und seiner Böswilligkeit entlarvt. / Siehe Fackel Nr. 531–543 vom April 1920.


Ebenso phantastisch ist die Behauptung der Angeklagten,
ich hätte meine politische Gesinnung nach dem Krieg geändert.
Das gerade Gegenteil ist wahr. Die Gesinnung, die ich vor dem
Kriege, unter Gefährdung meiner Freiheit und Existenz dem gan
zen Krieg hindurch in Wort und Schrift, in Oesterreich und in
Deutschland betätigt hatte, habe ich nach dem Krieg unverändert
weiter betätigt. Ich lege ein Heft der Fackel Nr. 454–456
vor auf deren Seiten 29 und 30 angeführt ist, was ich damals in
Deutschland öffentlich vorgelesen habe und welche Wirkungen
mein Auftreten in Frankfurt auf das dortige deutsch-nationale
Blatt ausgeübt hat. In Wien habe ich mitten im Krieg öffentlich
das von mir verfasste „Lied des Alldeutschen“ vorgetragen,
ein Gedicht, das die schärfste Verhöhnung der deutschen
Kriegsaspirationen und der deutschen Kriegsbarberei darstellte.
In Berlin habe ich damals die Verhöhnung Wilhelms in der
Glosse „Ein Kantianer und Kant“ und insbesondere in dem
Gargantuazitat sowohl zum Entsetzen wie zur Begeisterung mei
ner Zuhörerschaft öffentlich vorgetragen.


Ich leugne keineswegs, dass ich der Wiener Sozialdemokra
tie, die sich in den späteren Kriegsjahren meinem Kampf gegen
den Krieg, namentlich in Angriffen gegen die Auditoriate ange
schlossen hat, freundlich gegenüber gestanden bin und aus die
sem Grunde auch die Notiz im März 1919 / richtig April 1919 /
veröffentlicht und gesprochen habe, die nicht einen „Wahlauf
ruf“ darstellte, sondern die Wahl des „kleinern Uebels“ em
pfahl, das ja schon damals für mich ein politischer Begriff
war. Dass ich kein Anhänger der Sozialdemokratie war, geht aus
dem Wortlaut eben des Artikels der Fackelnummer 508–513 hervor,
wo es heisst: „… mögen ihn alle Interessen oder Ideale
einer Friedenswelt von der Sozialdemokratie scheiden …“.
Es kann also auch in diesem Punkt ein „Widerspruch“ oder gar
„Gesinnungswechsel“ weder für die Vergangenheit noch für die
Zukunft behauptet werden.


Das gerade erwähnte Heft der Fackel aus dem April 1919
enthält übrigens auch eine nicht vollständige Zusammenstellung
verschiedener Konfiskationen der Fackel aus der Kriegszeit
/ Seite 56 und folgende / und auf Seite 81 einen vertraulichen
Bericht der Feindespropagandaabwehrstelle über meine Vorlesung
vom 27. März 1918.


Mein Werk „die letzten Tage der Menschheit“ auf
das die Angeklagten sich als Beweis veränderter Gesinnung bezie
hen, habe ich zur Gänze während des Krieges geschrieben und
zum Teil schon während des Krieges in der Fackel veröffentlicht.
Dieses Werk von etwa 800 Seiten müsste, wäre die Behauptung der
Angeklagten wahr, im Laufe von wenigen Tagen entstanden und ge
druckt worden sein. Dem Gericht zuzumuten, dass es so etwas glau
ben soll, wird wohl einzig darstehen.


Die Fackeln Nr. 766–770 und 771–776 sind Angriffe
gegen den damaligen Wiener Polizeipräsidenten Schober und
drücken keineswegs eine Parteinahme für die Sozialdemokratie aus,
die sich bald darauf dem Schober in aller Form unterworfen hat / so
weit, dass ein Führer der Sozialdemokratie dem Polizeipräsidenten
Schober die Wagentüre öffnete, wovon ein Bild existiert /
und deshalb umso stärker von mir angegriffen wurde.


Die Behauptung, dass ich gegen die Opfer des Februaraufstandes
1934 im Juliheft der Fackel aus dem gleichen Jahre geschrieben hätte
ist eine ungeheuerliche Unwahrheit. Ich habe unter vielen andern Stel
len auf Seite 236 des Juliheftes geschrieben: „Ehre dem Andenken
jedes dieser ärmsten Todesmutigen, die das hohle Wort des Demagogen
getrieben hatte, als sie ‚die Demokratie verteidigten‘, und deren
Tragik eben darin besteht, die Phraseninhalte gar nicht gekannt oder
ihnen mehr geglaubt zu haben als die, die sie ermassen.“ Stellung
genommen habe ich nur gegen die sozialdemokratischen Führer und
Schreiber, weil sie meiner Ueberzeugung nach, die heute die allge
meine Ueberzeugung ist, die Existenz, Freiheit und Leben der Arbeiter
schaft leichtfertig aufs Spiel gesetzt haben wegen eines Parlamentaris
mus, dessen Abschaffung sie zu ihrer Freude der Verantwortung überhob
und in Tagen, in denen die Regierung Dollfuss einen beispiellosen Kampf
gegen den drohenden Einbruch der Hitlerhorden, gegen die Gefahr, die
Oesterreich, die C.S.R., ja die ganze Welt bedrohte, geführt hat, in
den Rücken gefallen sind.


Die Zitate, die von den Angeklagten aus dem Juliheft 1934 sub
V ihres Schriftsatzes vom 18. Feber 1936 angeführt werden, sind
zum Teil grobe Entstellungen, die sich teilweise nicht auf die „De
mokratie“, nicht einmal auf die tatsächlich bekämpfte Sozialdemokratie
beziehen, sondern auf einzelnes Schreibervolk. Sämtliche Angriffe
auf die Sozialdemokratie jedoch, die selbstverständlich nicht geleugnet
werden, beziehen sich ausschliesslich auf verantwortungslose oder fah
nenflüchtige Führer, keineswegs auf die Arbeiterschaft oder gar die
armen Märtyrer des Kampfes. Manche aus der Julifackel 1934 von den
Angeklagten zitierte Stelle haben, wie sich aus diesen Stellen in ih
rem Zusammenhang, aus dem sie von den Angeklagten gerissen werden,
ergibt weder mit der Demokratie noch mit der Sozialdemokratie das ge
ringste zu tun.


Den Obersten Adam habe ich in der Fackel um seiner ausserordent
lichen stilistischen Leistung willen gelobt. Er hat meiner Ansicht nach
ganz besonders treffende Formulierungen gegen Hitler gefunden, wie
sie kein Sozialdemokrat gefunden hat.


Dass der Angeklagte Hugo Sonnenschein der aus Kyjov stammt,
die čsl. Republik als für ihn „unsichere Fremde“ bezeichnet, die er der
Gleichschaltung vorzieht, wiewohl er hier auskömmlich lebt, hat mich
überrascht.


Zu den Aussagen der Zeugen Kornfeld und Urzidil verweise ich
auf die urkundlich belegten Ausführungen des Schriftsatzes meines Anwaltes vom 25. April 1936, die durchaus der Wahrheit entsprechen. Ueber
die Persönlichkeit des Zeugen Urzidil beantrage ich als Zeugen Dr. Norbert Gross, Advokaten in Prag II, Havličkovo nám. 3, einzuvernehmen.


Die Behauptung der Angeklagten, dass ich die „čsl. Staatsmänner
in meinen Schriften durch ganze Jahre beschimpft hätte“, ist eine ganz
grobe Unwahrheit. Die in dem Artikel der Fackel Nr. 909–911 gemachte
Konstatierung, dass der österreichisch-patriotische „Wiener Tag
zugleich Organ des seinerzeitigen čsl. Aussenministers Dr. Beneš sei,
als Angriff gegen diesen in seiner Funktion als Aussenminister oder
gar als jetzigen Präsidenten der čsl. Republik zu bezeichnen, ist
schlechterdings unmöglich. Niemals habe ich dem čsl. Staat als solchem
Dummheit vorgeworfen oder diesen Staat lächerlich gemacht, in Verbindung
mit der englischen Arbeiterpartei ist in dem Artikel in der Fackel Nr.909–911 klarer Weise eine čsl. Partei, keineswegs der čsl. Staat oder
gar die čsl. Nation als solche gemeint. Ich wollte damals zum Ausdruck
bringen, dass ich eine Partei dann als unklug betrachten muss, wenn
sie nicht einsieht, dass die čsl. Staatsinteressen Hitler gegenüber
sich mit den österr. Interessen vollständig decken. Die Behauptungen
der Angeklagten über den Inhalt der Fackelnummer 912–915 sind eine
glatte Fälschung. Einen Satz „die Partei hätte den Haus
herrn hinausgeworfen“ auf die čsl. Nation und deren Kampf um die
Befreiung zu beziehen, als „Partei“ die čsl. Nation zu bezeichnen,
die meiner Ansicht nach offenbar keinen Anspruch auf Selbstständig
keit haben soll, ist eine der unerhörtesten Erfindungen. Aus der zi
tierten Fackel ist auch dem naivsten Leser klar, dass die von den
Angeklagten erwähnte Wendung, die vollständig entstellt ist,
sich nur auf die Wiener sozialdemokratische Partei, die dem
Erpresser Bekessy das Wiener Bürgerrecht verliehen hat, bezog.
Wie die čsl. Nation in diesen Zusammenhang gebracht werden soll,
ist völlig rätselhaft, nicht einmal die Angeklagten werden vor
Gericht die Stirne haben, zu behaupten, dass etwa die čsl. Nation
den Bekessy eingebürgert habe. Wie aus dieser Fackelnummer heraus
gelesen werden soll, dass ich der čsl. Nation den Anspruch auf
Selbstständigkeit offenbar missgönne, ist noch rätselhafter.


Was den Anspruch der čsl. Nation auf Selbstständigkeit be
trifft, bin ich für diese wiederholt schon im Krieg einge
treten, das betreffende Fackelheft werde ich bei der Hauptver
handlung vorlegen lassen.


Zur Behauptung der Angeklagten, dass meine Tätigkeit die
des Angeklagten Sonka und anderer Literaten „diskreditiere“
finde ich nicht für notwendig mich zu äussern.


Alle Behauptungen der Angeklagten dienen dem Zweck, von
den sachlich zu beweisenden Vorwürfen abzulenken, dass ich
ein Profitmacher, ein Spekulierer, ein Konjunkturaesthet bin,
dass ich Mordhass schüre und ein Zuhälter der Macht sei. Solches
Wesen und solche Tätigkeit einem Menschen zuzuschreiben, der nie
mals durch Freiexemplare und Freikarten um die Presse oder sonst
um die öffentliche Meinung geworben und trotzdem die im Schriftsatz genannte Summe von über 800.000 Kč wohltätigen, zumeist
Arbeiter- und Invalidenzwecken zugeführt hat, ist unfassbar.


Die Idee der Angeklagten, als würde mich die neue österr.
Staatlichkeit fördern und begünstigen ist ganz absurd. Ich habe
es auch seit dem Februarumsturz nicht unterlassen, das führende
Organ des neuen Staatswesens, die Wiener Reichspost nach wie vor
zu bekämpfen. Meiner Rundfunktätigkeit ist trotz den enormen Er
folgen, die sie dem Wiener Institut brachte, ein Ende gemacht
worden. Nie habe ich erwartet, dass der Kreis der dem neuen österr.
Staatswesen kulturell Zugehörigen, dessen politische Aktionen im
Abwehrkampf gegen Hitler ich als notwendig erachte, das geringste
Verständnis für meine geistige Produktion aufbringen wird und
so ist es auch gekommen. Sie stehen mir so fremd gegenüber, wie
heute die Linkspolitiker, die, wie sich herausstellte, eben nur
durch ein Missverständnis der Fackel angehangen haben.