Karl Kraus verliert einen Prozeß


Sehr geehrter Herr Kollege!


In dem in Brünn geführten Prozess gegen
die Arbeiterzeitung legt Herr Dr. Gallia und auch der
Richter Wert darauf, die Haltung des Herrn K. gegen
über den dort zur Sprache gebrachten Fragen durch
einen Zeugenbeweis erhärtet zu bekommen. Unter den
Personen, die für einen solchen in Betracht kämen,
wäre ein Herr Dr.med.phil. und jur. RichardLiska, Prag XII., Fochova 2, zu nennen, der ein
emeritierter Konsul des tschechoslowakischen Staates,
seit jeher ein fanatischer Anhänger des Herrn K.
und über sein ganzes Werk orientiert ist. Herr K.
hat bei seinem letzten Aufenthalt in Prag diesen
Mann zufälligerweise getroffen, der wieder seine
grosse Anhänglichkeit und sein Verständnis für das
Werk bekundet hat. Objektiv genommen wäre also
dieser Zeuge in dem beabsichtigten Sinn gut verwend
bar. Es ist aber zu befürchten, dass er vielleicht
in der Tschechoslowakei in politischer Hinsicht in
Misskredit sein könnte, welcher Verdacht dadurch
auftaucht, dass er seine Konsularstellung aufge
geben oder verloren hat. Man könnte ihn dann nicht
als Zeugen führen, wenn seine Aussage aus persön
lichen Gründen kein Gewicht hätte. Wenn es Ihnen nun
möglich ist, über ihn näheres zu erforschen, so
wäre ich Ihnen dankbar dafür, und würde unter Umstän
den vor einem Missgriff bewahrt werden.


Indem ich Ihnen im voraus bestens danke
und Sie herzlichst grüsse und auch die Grüsse des
Herrn K. übermittle, bin ich mit vorzüglicher
kollegialer Hochachtung


Ihr ergebener


N.S. Wien, am 11. Mai 1936.


Sehr geehrter Herr Kollege!


Falls Sie die Erklärung an das ‚Prager Tagblatt‘ einsenden wollen, würde ich ungefähr den beiliegenden
Begleitbrief empfehlen.


Herr Kraus lässt Sie auch fragen, ob Sie
sich über die Ehrenbeleidigungsklage gegen den ‚Sozialdemokrat
wegen der berichtigten Stelle betreffend die „Haltung zu
den Arbeitern“ schlüssig geworden sind, und ob man nicht
Herrn Dr. Schwelb als Berichterstatter verklagen könnte?
Wenn es nicht zu kostspielig wäre, würde es doch ein
Schauspiel sondergleichen sein Herrn Dr. Schwelb leugnen
zu lassen, dass er den Bericht verfasst hat. Vielleicht
könnte man alle Redakteure als Zeugen führen. Nach Ihrem
Plan gegen Herrn Dr. Brügel zu schliessen, scheint in der
Tschechoslowakei der Zeugniszwang für Redakteure vorhanden
zu sein.


Mit herzlichen Grüssen


Ihr ergebener


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